Interview mit Volker Stamer

Stelle dich doch zu Beginn bitte einmal vor:

Ich bin am 8. Januar 1966 in Hamburg geboren worden und dann später in der Lüneburger Heide aufgewachsen. Die Natur und ihre schöpferischen Kräfte faszinierten und inspirierten mich schon von frühester Kindheit an zum Basteln und Malen, zum Kreativsein und Spielen im Wald. Auch die steinzeitlichen Höhlenmalereien und frühgeschichtliche Kunstwerke faszinierten mich damals schon sehr.

1981 begann ich eine Ausbildung zum Tischler in einer Möbeltischlerei, die ich 1984 mit dem Gesellenbrief erfolgreich abschloss.

Wie bist du Künstler geworden?

Das tiefe Fühlen von Farben, Formen in der Natur und die Musik ist für mich immer tiefe Inspiration. Auch das Wahrnehmen von unsichtbaren Räumen, hat mich schon früh für das Unsichtbare geöffnet. Ich wollte schon früh diese unendliche Harmonie in der Natur verstehen. Diese schöpferischen Kräfte ergründen, verstehen was hinter allem Sichtbaren verborgen scheint und in die unsichtbaren Geheimnisse der Schöpfung eintauchen.

Dadurch begann ich mich für Künstler, ihre Biografien, Schriften und Tagebücher zu interessieren. Studierte Ihre Werke und spürte schnell eine Seelenverwandtschaft im Denken und Fühlen. 

Künstler wie: Caspar David Friedrich, Wiliam Turner, Wassily Kandinsky, Vincent van Gogh, Franz Marc, Paul Klee, Max Ernst, Roberto Matta, Willi Baumeister, WOLS, Joan Miro, Ive Tanguy, Mark Tobey inspirieren mich dabei immer noch. Ich fühlte aber damals bereits den Zustand des Mönchseins eines Künstlers und ich spüre in mir eine Verbundenheit mit den geistigen schöpferischen Kräften des Kosmos.

Mit 18 Jahren (1985) begann ich dann bewusst meinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Inspiriert von den „neuen Wilden“ der 1980er Jahre, begann ich mit Dispersionsfarbe große Papierrollen zu bemalen. Auch das Aquarellieren begeisterte mich. Parallel begann ich dann noch zu Fotografieren. Richtete mir ein paar Jahre später ein eigenes Schwarzweiß-Fotolabor ein. Entwickelte meine belichteten Rollfilme selbst und fertigte davon selbst Papierabzüge an.

Später experimentierte ich auch mit buntem Glas, welches ich beleuchtete und hindurch fotografierte. Dabei entstanden Fotos von tiefen Farbräumen

Frühe Arbeiten, 1985-1994 (Auswahl)

Wie verbindest du deinen Beruf und die Kunst?

1993 machte ich mich als Kunsthandwerker und Künstler selbständig. Ich habe mich bewusst für die Freiberuflichkeit entschieden, um meinem künstlerischen Schaffen mehr Raum geben zu können. Meinen Beruf als Tischler sicherte mir ein Einkommen. Das Arbeiten mit dem Material Holz war bereits seit meinem 14. Lebensjahr mein Traum. So kann ich für meine heutigen Werke eigene besondere Rahmen und Malgründe selbst entwickeln und selbst erschaffen. Mein künstlerisches und kunsthandwerkliches Schaffen sehe ich mittlerweile immer mehr in einer symbiotischen Verbindung.

Was bedeuten für Dich Schaffenspausen?

1996 gab es einen Einschnitt in meinem Leben, ich gründete eine Familie mit meiner Frau Ina und baute ein Haus. Das sollte eine längere Schaffenspause werden, bei der ich ins Familienleben eintauchte, mit ganzer Seele. Unabhängig von diesem Schritt fühlte ich mich in meinem künstlerischen Schaffen immer mehr in einer Sackgasse. Ich wollte mich von zu viel gewollten und konstruierten Formen befreien, die ich vor meinem Inneren Auge sah, wodurch die mir viel zu oft selbst im Weg stand. Ich brauchte Abstand zur Neuorientierung und um meinen eigenen Ausdruck zu finden.

Und es sind keine eigentlichen Pausen. Es gibt für mich keine „Nicht-Entwicklung“. Gerade in den Pausen passiert doch etwas; das weiß ich heute. Es passiert nur nicht im Sichtbaren. Solche Phasen der „Leere“ sind wichtig für das kreative Schaffen und Entwickeln. Wie das kleine Innehalten zwischen einem Atemzug des Einatmens und dem darauffolgenden Ausatmen. Wie eine Umkehr.


Welchen Einfluss hat die Spiritualität in deinem Leben und auf deine Kunst? Wie ging deine Entwicklung weiter?

2004 kam ich mit der DEAN-QiGong-Methode in Berührung. Die auf das Wissen der traditionellen Chinesischen Medizin beruht und von dem chinesischen Arzt Meister Dean Li entwickelte wurde. Durch diesen Kontakt machte ich zum ersten Mal tiefe spirituelle Erfahrungen. Meine Wahrnehmungen kamen immer konkreter und bewusster in Berührung mit dem Unsichtbaren. Das war genau das, was ich immer in meinen Bildern suchte und zum Ausdruck bringen wollte.

Ich erfahre so die kosmische Dimension des Seins und Verbundenheit mit Allem, was sich auch in meinem dadurch wieder neu erwachten Drang zu Malen zeigte. Ich fühlte immer mehr eine größere innere Freiheit und einen starken Energiefluss, nicht nur in mir sondern auch in anderen Dingen. 

So entstanden meine Energiedrucke, in denen ich uralte Bauhölzer mit Wasser über mehrere Tage auf Papier druckte. Um ihnen ihr inneres auszuwaschen und auf Papier zu bannen. Was ich auch manches Mal mit dünner Aquarellfarbe tat.

Energiedrucke, 2004-2005 (Auswahl)

Die Faszination für die Aquarellfarbe und das Aquarellieren ist geblieben, damals experimentierte ich auch irgendwann mit Holzbeize und Aquarellfarbe auf Papierblättern. Ich begann mich mit asiatischen Tuschemalern zu beschäftigen. Ihr Antrieb und ihre Arbeitsweise inspirieren mich bis heute. Die Verbundenheit mit dem unsichtbaren geistigen Ursprung, der ihre Hand beim Malen führte. Der Geist der alles durchdringt und erschafft.

Aquarelle, 2004-2007 (Auswahl)

Wie bist du zu deinen besonderen ,,Dryingspots‘‘ gekommen?

2014 kaufte ich mir eine Druckpresse, um mich mit der Drucktechnik des Tiefdruckens und mit dem Anfertigen von Radierungen auf Schwarzstahlblechen zu experimentieren. Was mich sehr faszinierte.

Bei der Suche nach Stahlblech für meine Radierdruckplatten, fand ich bei einem Schrotthändler, sehr große zum Teil angerostete Schwarzblechtafeln,  die ich alle kaufte. Diese rostigen Muster des Zufalls auf den Stahlplatten, die der Regen schuf, als er zwischen die dicht nebeneinander stehenden Platten sickerte, inspirierten mich ungemein.

Planeten-Tiefdrucke, 2017 (Auszug)

Immer mehr nahm die kosmische Dimension Einfluss auf mein Bewusstsein und mein künstlerisches Schaffen. So entstand meine Planeten-Serie, Tiefdrucke auf Papier, mit runder Form. Irgendwann begann ich damit, die Aquarellfarbe direkt auf diese Platten aufzubringen und sie im Trockenrostprozess über Wochen immer wieder weiter zu bearbeiten. Wobei viel Freiraum für unvorhersehbare Farbverläufe blieb und die Naturkräfte, die das Rosten einer Stahlplatte mit sich bringen, sich nach ihren ganz eigenen Gesetzen entfalteten. Ich lernte davon inspiriert, intuitiv die Farbe zu setzen. Verschmelze immer mehr mit den Kräften des schöpferischen ,,Zufalls‘‘, folge einer unsichtbaren Bestimmtheit.

Aus dieser Verbindung heraus entwickelte ich in den letzen Jahren meine aktuellen Arbeiten, die Dryingspots. Fasziniert von den schöpferischen und unendlich harmonischen Kräften, drucke ich kleine und große runde Stahlplatten mit Aquarellfarbe über Wochen auf Holzplatten. Oder ich lasse dünne schwarze Aquarellfarbfilme in runden Ringen, auf Holzplatten aufgeleimten Aquarellpapier trocknen. Die ich zum Teil auch in mehreren Schichten übereinander und nacheinander über mehrere Tage hinweg aufbringe.

Dryingspot No. 13, 30x30cm, Volker Stamer, 2019

Was bedeutet für Dich Spirituelles Leben?

Spirituelles Leben ist für mich nicht mehr zu trennen von meinem künstlerischen Schaffen. 

,,Ein Künstler ist auch ein Mönch.‘‘

Diese Aussage, die ich mal in einem Buch las, hat mich sehr geprägt, gerade in den letzten 15 Jahren meines Schaffens. Sind wir doch alle Teil eines kosmischen unendlichen schöpferischen Bewusstseins. Ich würde sogar soweit gehen und behaupten, durch unsere körperliche Inkarnation ist ein jeder Mensch, sind alle Lebewesen und auch alle an Geist gebundene Materie, Teil eines unendlichen kosmischen Schöpfungsprozesses. Ein ewiges Kunstwerk in ständiger Wandlung befindlich, in dem jeder Mensch auch irgendwie ein Künstler ist, ob er sich dessen bewusst ist oder nicht. Er es lebt oder auch nicht. Somit uns allen das Künstlersein mit in die Wiege gelegt wurde von Anbeginn aller Zeiten, seit es Menschen auf dieser Erde gibt. Wir dadurch Teil und selbst schöpferische Wesen eines unsichtbaren Bewusstseins sind.

Das im Grunde aus unendlicher gegebener Freiheit schafft und sich ständig in einer Wandlung befindet. Strebend nach der Harmonie von Yin und Yang und einer bedingungslosen Liebe, die vergibt und heilt.

In meinen Dryingspots und meinen mit dem Pinsel getuschten Bildern sehe ich diese unsichtbaren, geistig schöpferischen Kräfte durch mich wirken.